Eher unwahrscheinlich, dass die Natur Raum lässt für derlei Überlegungen! Obwohl, so ganz funktioniert auch der Ausschluss des vorausschauenden Denkvermögens bei den Tieren nicht! Zumindest ist ihnen im Einzelfall die Wirkung des eigenen Handelns auf andere bewusst und kann gezielt eingesetzt werden. Jemand anderes systematisch zu etwas zu bringen zum eigenen Nutzen sozusagen, kriegen die auch hin. Otter zum Beispiel, diese kleinen so niedlichen Tierchen, können so etwas nämlich auch, in gewisser Weise – wenn auch im negativen Sinne! Leiden diese unter Nahrungsknappheit, sind sie sich nicht zu schade, zum Kindesentführer zu werden. Das muss man sich mal vorstellen. Die klauen quasi ihren Nachbarn den Nachwuchs und erpressen so Futter wie Fische, Krabben oder Muscheln. Erhalten sie es, geben sie auch die Kinder zurück! Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen und bedeuten, dass man noch mehr Mäuler zu stopfen hätte! Er bringt sie zurück, lebendig! Immerhin unterscheidet ihn das von menschlichen Entführern, bei denen ist nicht unbedingt klar, dass das entführte Opfer nach Übergabe des Lösegeldes noch lebt – leider!
Bösartig ist und bleibt es so oder so. Der Otter tut es aus Not. Ein menschlicher Entführer aber hat welche Gründe? Rachsucht vielleicht oder Habgier? Mag auch sein, dass er sich in Not befindet. Allerdings ist die menschliche Entscheidung eine des Verstandes. Das Kind eines anderen zu entführen und die Absicht, dieses unbeschadet zurückzubringen im Austausch für materielle Gegenstände sprich Geld, sichert nicht zwangsläufig ausschließlich das eigene Überleben. Es ist eine Entscheidung, die wohlüberlegt und im klaren Bewusstsein, erkennbar an der Planung zur Durchführung des verwerflichen Vorhabens getroffen wird. Daher ist sie vorsätzlich und als höchst abscheulich anzusehen. Was nichts anderes bedeutet, als dass es beim Menschen stets eine Entscheidung ist, die wissentlich von der moralischen Einstellung als auch Sittlichkeit abweicht und daher ohne Frage auf den eigenen Willen zurückzuführen ist. Und, wie Lotta fand, die ganze Sache um einiges schlimmer machte!
Wäre ja dennoch interessant, würde man das Vorgehen des Otters 1 zu 1 auf uns Menschen übertragen. Man stelle sich vor, der Herr Nachbar oder die Frau Nachbarin würde einfach dein Kind klauen und anbieten, es zurückzugeben, wenn du dafür deinen Kühlschrank plünderst wegen Hunger und zu schwach oder nicht in der Lage, selbst dafür zu sorgen! Noch spannender, wenn dann diese Familie vielleicht Flüchtlinge oder Ausländer sind! Lotta glaube, der arme Rentner allein zieht nicht. Also muss schon was Gravierenderes her! Du kommst also ahnungslos vom Einkaufen nach Hause und deine Kids sind mal in der Wohnung nebenan oder im Haus gegenüber. Stutz – und weil du die Lage erkennst und nicht anders kannst, schleppst du mehr oder weniger grummelnd deine Vorräte eben genau dorthin, nimmst deinen Nachwuchs wieder in Empfand, drehst dich um und fängst dann mal von vorne an, für das Abendessen oder was auch immer zu sorgen! Wo ist das Problem?
Allzu oft wird man sich das wohl kaum bieten lassen, vermutlich nicht ein einziges Mal! Würde keiner von uns Menschen! Erst recht nicht in städtischen Gebieten, selbst wenn in der Wohnung neben deiner jemand lebt, dem es schlechter geht. Hingegen: Kennt man sich und versteht sich gut, hilft man sich ohne Weiteres wie von selbst. Kommt auch in der Natur vor, dass etwas, das „über“ ist, dem dient, der zu schwach ist, ausreichend für sich selbst zu sorgen oder aber wer, der gerade zufällig vorbeikommt, darf davon profitieren. Letztendlich verkommt nichts oder vergammelt obwohl eigentlich noch genießbar, auf Müllbergen, die nicht sein müssten und im Grunde ein Mahnmal des schändlichen Schwachsinns darstellen sollten! Auch wenn es sicherlich ebenso von zweifelhaftem Sinn wäre, würde man hierzulande seinem Kind nahebringen wollen wie wichtig es ist, den Teller leer zu essen vor dem Hintergrund, dass es in Afrika und sonst wo auf der Welt Kinder gibt, die verhungern. Kann man sich eigentlich sparen, da es dem Kind in Afrika sowas von überhaupt nichts nützt, wenn die Menschen hierzulande ihre Mahlzeiten zu schätzen wissen und nicht verschwenden würden. Es hungert deswegen nicht mehr oder gravierend weniger! Eine Moral würde sich nur dann erkennen lassen können, wäre die Verteilung an sich anders: Das „zu viel“ hier würde nicht existieren und stattdessen denen dort mehr zur Verfügung stehen. Wie kriegt man das hin? Das wird sich schon so mancher mehr außer Lotta gefragt haben und intensiv nach Lösungsansätzen auf der Suche sein, im Gegensatz zu Lotta, wie sie ehrlicherweise eingestehen musste!
Bei uns gilt dennoch: Eine Hand wäscht die andere. Je ländlicher man wohnt, umso eher sind die Menschen bereit, füreinander einzustehen. Sie tun dieses sogar ganz von allein und es funktioniert einwandfrei. Tut dir jemand einen Gefallen, dann weißt du, dass du umgedreht irgendwann dran sein wirst, diesen Gefallen zurückzugeben und du tust es, ohne dass es in welcher Form auch immer infrage steht! Man lässt sich nicht im Stich! Wenn ich etwas tun kann, tue ich es sogar gerne! Super – wie Lotta fand. Wir können es also, es gibt welche von uns, die wissen wie das geht. Die keine schriftlichen Statuten dafür brauchen. Es ist ein Gesetz, das weder fixiert noch ausgesprochen werden muss, sondern unantastbare Relevanz hat!
Und dann gibt es da jene, die das so komplett vergessen haben oder nicht mal ansatzweise kennen. Die, deren Nachbar in der Wohnung über oder unter ihnen liegt und schon seit Wochen verstorben ist, ohne dass es einer bemerkt hätte – wo erst der durchdringende Geruch als auch die merkwürdige Ansammlung von Fliegen im Treppenhaus nachdenklich werden lassen. Klappt halt nicht immer, das mit dem menschlichen Umgang miteinander!
Zurück zum miesen hungrigen Otter, der vielleicht nicht in der Lage ist, selbst so viel zu fangen oder zu ungeschickt und dann diesen Weg zur Beseitigung einer unmittelbaren Notlage wählt, eines Mangels zur Befriedigung der Grundbedürfnisse. Ebenfalls böse, keine Frage. Die Regeln dort sind klar und eindeutig: Bring mir Fressen, kriegst du deine Kinder – Punkt! Ich böse, aber ich Hunger! Mistviech in dieser Situation unbestritten. Dennoch geht es ums nackte Überleben.
Erschreckend ist in dieser Phase des gedanklichen Erforschens quasi auch die Juwelwespe. Wenn man so will wirklich ein absolut tierisches Monster, zumindest aus der Sicht von Schaben. Diese dienen dem Nachwuchs der Wespe nämlich als Nahrung und haben dabei ihren eigenen Willen opfern müssen, widerwillig versteht sich! Die Vorgehensweise dieser Wespenart fand Lotta gruselig, um nicht zu sagen abscheulich auf eine Art. Auch wenn sie zugeben musste, dass es schon schlau als auch geschickt war. Die Schabe an sich hat keine Chance. Zuerst bekommt sie einen Stich, der ihre Vorderbeine lähmt und dann wird ihr durch einen zweiten Stich ins Nervensystem der Willen genommen. Sie folgt der Wespe also willenlos, die diese aufgrund ihrer Größe nicht tragen könnte, in eine Höhle und verendet dann im Laufe von mehreren Wochen qualvoll, weil sie ein Ei auf den Pelz gesetzt bekommt. Um den schlüpfenden Nachwuchs zu ernähren, wird die Schabe ausgenutzt – das, was man getrost als hilflos ausgeliefert betrachten kann.
Betäuben gibt es bei uns schließlich auch, allerdings nicht unbedingt im Sinne von Arterhaltung. Man kennt es und hört es leider auch immer wieder. Menschen, die andere Menschen betäuben gegen ihren Willen und ohne deren Wissen und damit weit außerhalb des medizinischen Fachbereiches liegend, bei dem man zuvor sein Einverständnis schriftlich hinterlegen muss. Die Arschkrampen, die das machen ohne das Wissen des betroffenen Individuums, was dieses völlig überraschend und unvorhersehbar trifft, sind fast ausschließlich dem Trieb folgend. Vornehmlich ihrem eigenen oder aber sie kassieren dafür von anderen Geld, die wiederum ihrem Trieb bedenken- als auch gnadenlos folgen wollen! Welch ein Widersinn in sich! Früher haben Zuhälter ihre Mädchen auf diese Weise gefügig gemacht und unter Gewalt auch dem Drogenkonsum zugeführt. Inzwischen müssen junge Frauen schon während einer Veranstaltung oder eines Discobesuches auf ihr Getränk höllisch aufpassen um zu verhindern, dass sich jemand ihres Körpers bedient und sich nimmt, was ihm nicht zusteht!
Das ist kriminelle Energie in ihrem ureigensten Sinne. Aus Niedertracht und mit voller Absicht aus der vorausgegangenen, gedanklichen Überlegung heraus, die sich bewusst und im Vollbesitz der geistigen Kräfte gezielt über alles Sittliche hinwegsetzt – mehr noch, selbiges sogar die Absicht des Ganzen war und ohne das es auch nicht hätte zielführend sein können! Es war eine ganz bewusste Willensentscheidung, etwas Kriminelles zu tun! Wenn solche Dinge geschehen, passieren sie unter den Menschen ausschließlich zur Befriedigung von Trieben eines einzelnen oder einer Gruppe! Weder Moral noch ein Sinn, der sich in welcher Form auch immer rechtfertigen lassen könnte, sind hier zu finden! Ohne Zweifel vollkommen abscheulich!
Hingegen scheint die Arterhaltung aus Sicht der Natur etwas zu sein, das ein solches Handeln begründen kann. Die Wespe würde ansonsten aussterben, könnte sie sich nicht die Schabe zunutze machen, um ihren Nachwuchs zu versorgen. Für die Wespe ist dieser Vorgang an sich „normal“ – sie kennt es nicht anders und wird sich auch nicht darüber im Klaren sein, dass das, was sie tut, jemand anderes Tod bedeutet oder moralisch verwerflich ist. Sie tut es, weil sie es nicht anders kennt und sie folgt damit ihrem Instinkt. Es ist also alles andere als eine Willensentscheidung, die sie bewusst aus lauter Bösartigkeit trifft. Das wiederum steht im klaren Gegensatz zum Menschen! Niedertracht also ist definitiv eine Eigenschaft des Menschen, die er willentlich im vollen Bewusstsein zulässt und auslebt. Ein Tier hat keinen Freiraum zur Entscheidung in diesem Fall, zumindest die Wespe hat ihn nicht. Der Otter auch nicht, wobei die Konsequenz nicht den Tod nach sich zieht für die entführten Kinder seines Nachbarn. Das Leben eines anderen zu nehmen tut man als Mensch allerdings schon, wenn man sich des Körpers des anderen bedient und die Seele und den Geist in die Knie zwingt. Der Tod an sich hat viele Gesichter und definiert sich nicht ausschließlich mit dem Verblassen alles Lebendigen aus den Gebeinen!
Wäre nun der andere Otter stärker und dem Entführer kräftemäßig weit überlegen, würde er vermutlich den Spieß umdrehen, den Übeltäter weit außerhalb des Reviers vertreiben oder gar töten und Thema durch. In der Natur gewinnt der Stärkere, und das ist nicht zwangsläufig immer der mit der meisten zur Verfügung stehenden Kraft!
Ob bei der Begattung oder als Alphatier eines Rudels, es gilt zumeist die Macht des Stärkeren. Bei den kleineren Tieren überwiegt mehr ihre Schlauheit, wenn man so will. Lotta war sich nicht sicher und es traf auch nicht bedingungslos in jedem Fall und jeder Lage zu, aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel! Je nach Größe des Tieres war auch etwas anderes wichtig und ausschlaggebend für den Erhalt der Gruppe, der Herde, dem Fortbestehen der Art.
Bei den Elefanten beispielsweise übernimmt häufig die Älteste die Rolle der Leitkuh. Diejenige, die die meiste Erfahrung hat und sich an all das Wichtige erinnert, was man sie gelehrt hat und das sie nun weiterzugeben befähigt ist. Und wenn ihre Zeit gekommen ist, wird sie das Zepter derjenigen übergeben, die es in ihrem Sinne und damit zum Wohle der Herde weiterführen wird. In der Natur gibt es diesbezüglich klare Regeln, die sich selbst beherzigen irgendwie. Wer nicht folgen will, muss eigene Wege gehen und ob das klug war oder nicht, zeigt sich relativ schnell. Unter Umständen war es die richtige Entscheidung. Sollte es anders sein, wird sich dieses sofort rächen, wenn man nicht die Routen zum Wasser oder Futter kennt und sich selbst überlassen sehr angreifbar ist ohne den Schutz der Herde. Ein Fehler, der in der Natur gemacht wird, wird umgehend bestraft, ohne Wenn und Aber. Je nach Ausmaß kann die sich daraus erwachsende Konsequenz halt den Tod bedeuten!
Bei uns Menschen machen uns Krankheiten wie Alzheimer und Demenz diesbezüglich einen Strich durch die Rechnung, könnte man sagen. Erschwerend kommt hinzu, dass es Sippen in dem Sinne, in der alle Generationen einander helfen und je nach Verfassung des körperlichen Wohlergehens ihre Aufgaben innerhalb der Struktur, bzw. Gruppe, Familie oder was auch immer erfüllen, nicht mehr gibt. Dieses Gefüge ist bei uns ausgehebelt, zumeist gerne in der westlichen, doch so hoch entwickelten Welt. Stets der Ältesten und damit auch Weisesten zu folgen oder dem Schamanen oder Häuptling einer Familie, dem Stammesoberhaupt, könnte sich in der heutigen Zeit insofern als schwierig darstellen und wäre nur bis zu einem gewissen Grad umsetzbar, als dass sie noch klar bei Verstand sein sollten und ihre Machtposition anerkannt wird. Die Weitergabe der Rolle in eben dieser Stellung unterliegt ebenfalls speziellen Riten und Ordnungen. Entscheidend ist, dass dieses nicht hinterfragt oder auf den Kopf gestellt werden kann – gültiges Recht, dessen Bedeutung sich bewährt gemacht hat!
Wer hört heute denn noch wirklich auf die „Alten“? In einer Zeit, in der Handys, Youtube und Co die ältere Generation überflüssig macht mit ihrem vorhandenen Wissen, ihren Erzählungen und ihrer wohltuenden Weisheit! Das in der Tierwelt selbstverständlich Gegebene, das Wissen durch die Älteren an die Jungen weiterzugeben, um sie so gut wie möglich auf die Zeit ihres eigenständigen Daseins vorzubereiten, ist im Laufe der Entwicklung der Zivilisation, der enorm wachsenden Technologie weitestgehend außer Kraft gesetzt.
Deutlich zu merken auch an den Kindern unserer Gesellschaft, die durch Schicksalsschläge ihrer Wurzeln beraubt wurden und Elternteile oder die Familie verloren haben. Ohne den tatsächlichen Halt durch die „Alten“, deren Rat in jeder Hinsicht von Bedeutung sein kann und auch sollte, ist man verloren. Es sollte wenigstens einen Menschen geben, der von Geburt an unentwegt und unantastbar das eigene Leben begleitet. Völlig egal, ob das Mutter und/oder Vater ist, Großmutter oder Onkel oder wer auch immer Älteres halt da ist! Basis ist in dieser Situation immer und unzweifelhaft die Sicherheit, dass es diese Person auch ernst mit einem meint, es gut meint, einen wirklich liebt und nur das Beste für einen will! Die Kleinen orientieren sich stets an den Älteren, ob das nun Geschwisterkinder sind oder andere nahestehende Personen, total egal. Jene, denen man bedingungslos vertrauen kann und wo man nie Angst vor Enttäuschung haben muss. Es sollte jemand sein, der erhaben über allem steht, was einem Schaden zufügt. Jemand, der sich auch vehement dafür einsetzt und umgehend beisteht, wo es das Kind alleine noch nicht kann und schutzbedürftig ist.
Dieses Vertrauen ist die Grundlage allen Daseins, das unter den Menschen nur allzu oft leichtfertig als auch gleichgültig gebrochen wird. In Anbetracht der schwerwiegenden Konsequenzen für das Kind spielt es keine Rolle, ob nun Unwissenheit aufgrund mangelnder Prägung (oder auch Bildung) die Ursache dafür ist. Das Kind wird so oder so damit zu leben lernen müssen oder halt Scheitern im weiteren Verlauf seines Daseins. Das ist, fand Lotta, nicht infrage zu stellen!
Ob man diese unumgängliche Unterstützung weitergeben kann ist abhängig davon, wie man herangewachsen ist – ist begründet darin, ob man diese Möglichkeit der geistigen Horizonterweiterung eigenständig nutzen kann und in welchem Verhältnis man zu eben jenen steht, die einen großgezogen haben. Ist es eine liebevolle Zeit gewesen, eine Zeit, in der man gelernt hat, was Werte bedeuten und wie man sich selbst findet? Wie man zusammenhält, weil eben das Band der Liebe einen unwiderruflich vereint! Wurde es einem ermöglicht, den eigenen Weg zu finden oder war man gezwungen, sich welchen Erwartungen auch immer zu beugen? Wurde man gar komplett im Stich gelassen? War man sich selbst überlassen und konnte dennoch einen Weg finden, all das, was belastet, willensstark hinter sich zu lassen und dadurch die Fähigkeit erlangen, unzerbrechliche Liebe weiterzugeben?
Dabei muss es nicht einmal so gewesen sein, dass Eltern ihre Kinder weggegeben haben oder dazu gezwungen waren. Es ist durchaus Usus, dass viele mit der Erziehung an sich total überfordert sind. Diese Kinder aber wachsen heran und sind leider in der misslichen Lage, insgesamt unvorbereitet in die Welt losgelassen zu werden. Wenn also Eltern, die schon in sich mit ihrem Dasein überfordert sind, nun auch noch aus dieser Überforderung heraus ein Leitbild für ihre Kinder darstellen müssen, dann wird das Ganze durchaus bedenklich – fand Lotta. Eigentlich gibt es moralisch keinerlei Rechtfertigung für ein Scheitern der Erwachsenen auf diesem Gebiet! Da ist absolut kein Spielraum – es hat nach bestem Gewissen umgesetzt zu werden! Der Vorteil des Menschen mag darin liegen, dass man sich Hilfe holen kann und es eben aufgrund der immensen Verantwortung auch tun sollte, wenn man sich damit überfordert fühlt. Gleichgültigkeit ist Versagen, das man sich nicht leisten kann oder darf!
Ist es denn so „einfach“? Nein, ganz und gar nicht! Und doch ist es wichtig, das Entscheidende im Leben gerade von denen zu lernen, die für die eigene Existenz verantwortlich sind sozusagen. In unserer Gesellschaft, und damit der gesellschaftlichen Weiterentwicklung unterworfen, ist eben das ein unfassbar großes, kaum zu bewältigendes Problem geworden. Patchwork-Familien als auch Alleinerziehende sind heutzutage normal. Menschen, die mehr als einmal im Leben heiraten ebenso. Natürlich auch Querdenker, Revoluzzer und Leute, die einfach ihrem Weg, ihrem Inneren folgen …
Die Natur hat da ihr eigenes Konzept, ohne Frage. Dieses sieht selten die Aufzucht des Nachwuchses eines vorangegangenen Partners vor, zumindest bei denen, die halt nicht ein Leben lang beieinander bleiben. Es gibt auch diesbezüglich alles, wenn man so will. Die Elefantenkinder werden von weiblichen Tieren großgezogen, die Bullen gehören nicht wirklich zum alltäglichen Familienleben dazu. Sind sie alt genug und der Mutter entwachsen, werden sie ihren eigenen Weg gehen müssen. Männliche Nachkommen werden generell zur Vermeidung von Inzucht der Herde verwiesen. Löwenkinder, die der Muttermilch entwöhnt sind und diese neu trächtig wird, müssen ebenfalls Leine ziehen. Der Nachwuchs wird solange betreut, gehegt und gepflegt, bis er halt selbstständig ist. Schafft die Mutter aus welchen Gründen auch immer es nicht, diese Aufgabe fürsorglich zu erfüllen, werden die Kleinen verhungern. Im übelsten Fall kann auch ein umherstreifendes stärkeres als auch paarungswilliges Männchen der Grund für den Tod der Kinder sein. Allerdings fallen da auch wieder gerne mal die Löwen auf. Wenn dort ein stärkeres Männchen den „Beschützer“ des Rudels in die Flucht schlägt und damit die Gruppe mit seinen Weibchen zu übernehmen gedenkt, sollte er nicht wirklich auf die Idee kommen, denen ihre Jungen zu klauen. Diese spielen da nicht immer und bedingungslos mit. Da sie zumeist auch in der Überzahl sind, werden sie gemeinsam die Machtstellung des neuen Männchens nicht anerkennen, sofern er ihre Kinder zu töten beabsichtigt! Es sei denn, sie kehren zurück von der Jagd und die Kinder sind bereits durch ihn getötet worden. Ansonsten kann es passieren, dass sie ihn angreifen. Entweder er akzeptiert ihre schon geborenen Kleinen oder er kann von Dannen ziehen. Damit hätte er dann verloren – Klasse irgendwie! Womöglich hat daher die umgangssprachliche Formulierung „die kämpft wie eine Löwin für ihre Kinder“ ihren Ursprung – wäre zumindest denkbar!
Undenkbar hingegen bei uns Menschen! Dieses Verhalten würde man nicht 1 zu 1 übertragen wollen, nicht mal rein hypothetisch – auf keinen Fall! Wobei Lotta nicht umhinkam, darüber nachzudenken, wie oft es passierte, dass neue Lebenspartner jenes Elternteils, welches die Fürsorge für die Kinder hatte, nicht unbedingt immer die schon vorhandenen Söhne oder Töchter uneingeschränkt akzeptierten. Auch hier spielten sich Dramen ab! Wie sehr wünschte Lotta in diesem Moment all jenen Müttern oder Vätern, die alleinerziehend waren und deren neue Liebe von bereits geborenen Kindern nichts wissen wollte, sich so einzusetzen wie eben die Löwinnen! Die Einstellung zu vertreten „entweder du akzeptierst mich mit meinem Anhang oder du kannst gehen“ wäre doch das, was sich so einige verdammt noch mal zu Herzen nehmen sollten! Sich mitleidlos ob des vermeintlich leichteren Lebens mit materieller Sicherheit oder aber sexuellen Befriedigung, die eine Partnerschaft bringen mochte, über das Wohlergehen des eigenen Kindes zu stellen ging ihrer Meinung nach überhaupt nicht und betrachtete sie als höchst verwerflich! Und alles nur aus Mutlosigkeit heraus, alleine seinen Weg zu meistern, bzw. weil man keinen Bock hatte sich der moralischen Verantwortung demjenigen gegenüber, den man womöglich sogar über Monate hinweg unterm Herzen getragen hatte, zu stellen! So weit braucht man nämlich nicht zu gehen, solche Fälle gibt es wiederkehrend. Die Patchwork-Familie der Güteklasse 1A mit Siegel, absolut harmonisch und stärkend für alle ist nicht die Regel! Sollte man sich mal bewusst machen, fand Lotta!
Die morbide Brutalität der Natur ist da sicher keine Lösung für uns Menschen, allerdings konnte Lotta nicht umhin, an dieser Stelle anzumerken, dass die Natur auf jeden Fall ehrlicher war. Bei uns Menschen ist es um einiges grotesker als in der Natur, eigentlich sogar noch als um etliches erbarmungs- und rücksichtsloser anzusehen, wenn Kinder sich wertlos fühlen müssen und auch so behandelt werden. Die nach ihnen geborenen Geschwisterkinder, die womöglich dann zu beiden Elternteilen hin blutsverwandt sind, bevorzugt und mit Liebe bedacht werden. Die Folgen für ein solches Kind sind von ungeheurem Ausmaß und nicht einfach so wieder auszubügeln. Wobei hierfür auch die Einsicht als auch der Willen des entsprechend vernachlässigenden Elternteils die Grundvoraussetzung zu sein hätte! Etwas Schlimmeres mag es wohl kaum geben, als ungeliebt zu sein und in dem Bewusstsein totaler Egalität heranwachsen zu müssen mit dem Wissen, als notwendiges Übel angesehen zu werden.
Auch nicht unbekannt – das Urvertrauen, das ignoriert und dessen Bedeutsamkeit mit Füßen getreten wird – dank des Menschen mit seinem Denkvermögen! Alles hin und doch stellt sich der Mensch gerade deshalb den Tieren gegenüber als eindeutig überlegen sowie übergeordnet dar. Tiere würden ihre Kinder nicht sich selbst überlassen in der Form, wie es bei etlichen Menschen schon erschreckenderweise selbstverständlich geworden ist. Wobei es auch überforderte Mütter in der Natur gibt, aber das Ergebnis dort ist klar und unmissverständlich. Es rächt sich umgehend und nicht erst Jahre später, sondern sofort! Die ungeliebten Kinder, die der Bär oder sonst ein als Einzelgänger lebendes Männchen nicht akzeptieren kann und daher tötet, müssen sich trotz aller barbarisch anmutenden Vorgehensweise nicht ein Leben lang mit den sich daraus erwachsenenden seelischen Konsequenzen quälen und bestialisch zugrunde gehen. In diesem Fall ist die Gewalttätigkeit der Natur eine gnädige Lösung! Grausam an dieser Stelle ist der Mensch, auch wenn Lotta das nur schwer über die Lippen kommen wollte. Und doch, dachte sie, ist es so!
Wo sollte das alles noch hinführen, wenn der Mensch mit seiner Menschlichkeit schon in der Fürsorge für seine Kinder an eben selbiger bitterlich scheitern konnte, fragte sich Lotta nun eingehend …